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17.12.2020

Gesungenes Mosaik

Die erste O-Antiphon wird am
17. Dezember gesungen.
In der Vesper (Abendgebet) sind diese ehrwürdigen Verse die Antiphonen zum Magnificat, dem Lobgesang Mariens (Lukas 1, 46-55). Die O-Antiphonen werden auch in den heiligen Messen dieser Woche als Verse zum Ruf vor dem Evangelium gesungen:


O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten,
die Welt umspannst du von einem Ende zum andern,

in Kraft und Milde ordnest du alles:
o komm und offenbare uns
den Weg der Weisheit und der Einsicht!


Beim volkstümlichen Weihnachtsfest dreht sich alles um das liebe Kind in der Krippe im kalten Stall, „holder Knabe im lockigen Haar“. Aber bei Jesaja und in den O-Antiphonen geht‘s um den allmächtigen Richter, der uns auch mal streng erscheint.

Hier, wie in den anderen Antiphonen der Woche, ist Bezug auf verschiedene Stellen der Heiligen Schrift genommen. Wie so oft in der Liturgie der Kirche, werden Worte und Bilder aus ganz verschiedenen Kontexten zu einer Einheit gebildet, die mehr ausdrückt als die einzelnen Teile.

Es ist wie bei einem Mosaik, wo die einzelnen Teile Bruchstücke verschiedener Farben sind, doch alle zusammen ein erkennbares Bild darstellen. Oder sogar wie in Träumen, wo unsere Erinnerungen so allerlei zusammenbringen. Während des Traumes erscheint alles sinnvoll, obwohl es beim Aufwachen oft schwierig ist, dies zu rekonstruieren.

So ist es auch in der Liturgie. Das Gemüt muss richtig aufnahmebereit sein, um den Sinn wahrzunehmen. Wenn wir nur zuschauen, so wie Theater- oder Museumsbesucher, werden wir die innere Bedeutung nicht erfassen. Wir müssen uns darauf einlassen, damit wir von der liturgischen Handlung gefangen genommen werden können.

Hier in der ersten O-Antiphon wird Verschiedenes, ja sogar Gegensätzliches,  zusammengebracht: fórtiter, suavitérque dispónens ómnia: „Mit Kraft, aber auch mit Milde“ – fortiter, suaviter  – wird die Welt regiert. Das zarte Kind von Bethlehem ist gleichzeitig der strenge Richter des jüngsten Gerichtes. Attingens a fine usque ad finem: „Die Welt – und unser Leben – umspannst du von einem Ende zum andern.“

M. Hildegard Dubnick OSB